Farewell, Ip Wischin


© Rodja Pavlik

Das fällt mir jetzt nicht leicht zu schreiben… Wie ich diversen Postings, Workshop-Absagen, der Huldigung des Film Network Ireland auf Facebook und auch dem News-Bereich seiner Website vienna-filmcoach.at entnehmen konnte, verstarb der international anerkannte Filmcoach und Script Doctor Ip Wischin am 18. November 2023. Das ist ein ziemlich schwerer Schock – und kam für mich völlig unerwartet.

Ip Wischin (geb. 1963) studierte unter Milos Forman („Einer flog übers Kuckucksnest“, „Amadeus“) in New York, und arbeitete als Drehbuchautor, Lektor und Berater von Regisseuren wie Franz Antel, Niki List und Michael Glawogger. Aus seinen Erfahrungen heraus entwickelte er seine eigene Methode.

Hauptberuflich war er als Wirtschaftsdramaturg u.a. für einen Telekommunikationsriesen tätig. Dabei vergaß er seine Indie-Wurzeln nie und veranstaltete des Öfteren mehrteilige Workshopserien.

Kennengelernt habe ich Ip Wischin bei einem seiner Workshops über Filmdramaturgie und Drehbuchschreiben in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre. Damals entdeckte ich einige bekannte Gesichter unter den Teilnehmern, wie Filmemacher Nino Leitner, Gregor Schmidinger („Homophobia“, „Nevrland“) oder Drehbuch- und Buchautor Rainer Weidlinger („Die Fleischerfrauen“, „Böse Gute Zeit“). Damals waren die Workshops noch auf freiwilliger Spendenbasis. Mir klang das etwas suspekt, aber Ip erklärte es damit, dass er mit der Art, wie er die Workshops veranstaltete, noch experimentierte. Zu deutsch: Wir waren quasi seine Versuchskaninchen.

Und als solche mussten wir viel „erleiden“. Es war ein Wahnsinn, was Ip alles in die Workshops hineinpackte. Kamen wir in der Früh noch frohgemut rein, krochen wir am Abend mit rauchenden Schädeln heraus. Und wir empfanden das als inspirierend. Es war ein Wahnsinn. So, als würde uns Ip das Portal zu einer fremden Welt öffnen, uns ein paar Minuten drinnen herumtollen lassen – und wie wir zurückkommen, müssen wir feststellen, dass Stunden vergangen sind.

Das, was wir aufnahmen, beschäftigte uns lange und floss auf die eine oder andere Art in unsere Projekte ein. Wir waren begierig, alles in uns aufzusaugen. Und ständig konzentriert arbeitend; immer das Gefühl habend, dem Meister hinterherzulaufen, nie auch nur die Chance zu haben, ihn an irgendeinem Punkt, bei irgendeinem Thema mit eigenem Wissen überholen zu können.

© Ip Wischin

Ip hatte so ein umfassendes Filmwissen, er bezog sich auf S/W-Klassiker, aber auch auf aktuelle Filme. Und er war so unglaublich neugierig. Er unterstützte die Leute, wo es möglich war. Ich hatte eine Phase, da wollte ich – wie damals in den 2000er-Jahren – deutschsprachige Indie-Filme vorführen. Ich kam mit der Idee des Underground Cinema Vienna – und Ip stellte mir für die erste Veranstaltung einen Raum zur Verfügung – und machte mir auch gleich ein Logo dafür.

Erst später realisierte ich, dass Ip unsere damaligen Workshops tatsächlich als Probeläufe sah. Er sezierte „unseren“ damaligen Workshop – und machte aus einzelnen Themen anscheinend wiederum eigene Workshops. Er hatte so viel zu erzählen. Und wir hörten gerne zu.

Es gab eine Zeit, da wurde er in Schreiberling-Kreisen unter der Hand empfohlen. Mundpropaganda ist halt noch immer die beste Werbung. Sobald jemand mit leuchtenden Augen anfing: „Du, ich war da vor kurzem bei einem Kurs von so einem Filmcoach… Du, den musst Du Dir geben!“, wusste man bereits: Ip Wischin hatte wieder einen Jünger gewonnen.


In den letzten Jahren war der Kontakt zu Ip Wischin eher flüchtig. Als lohnabhängiger Familienvater hat man leider nicht mehr so die Zeit bzw. die Energie, sich dem Hobby bzw. der Berufung Schreiben zu widmen. Auch postete Ip auf Facebook manchmal Memes und teilte andere Postings zu Themen wie Migration oder sogenannter Wokeness, die – sagen wir es mal so – meiner doch eher linken Gesinnung widersprachen. Was für mich verblüffend war… All die Cleverness, all der Wortwitz, die hintergründigen Gedanken fehlten komplett. Zuerst dachte ich, dass Ip zu Gedankenduellen provozieren wollte. Dass er zwar schon eher konservativ eingestellt war, dass er sich aber auch als Agent provocateur sah und tiefer gehende Diskussionen mit Andersdenkenden suchte. Doch wenn man ihn darauf anschrieb, kam da nicht wirklich etwas. So anders, wenn es um Film ging.

Zuletzt wurden mir immer wieder Fotos und Filmchen von ihm in die Timeline gespült. Er wirkte jetzt mehr wie ein das Leben genießender Bonvivant, der gerne im Kreis von Philosophen wie dem konservativen Briten Roger Scruton seine Gedanken teilte. Das stand ihm gut. Aber – und ich weiß jetzt nicht, ob es mir schon immer so vorkam, nur dass ich nicht den Finger darauf legen konnte, oder ob es jetzt im Nachhinein eine Interpretation ist: Er kam mir um einiges fragiler vor.


Die Welt des Films hat auf jeden Fall einen großen Denker verloren. Einem, dem man diesbezüglich gern zuhörte (selbst wenn man danach wie nach einem Sparring erschöpft und schweißgebadet aus dem Ring kroch).

Aus dem Grund sucht auf Youtube nach Videos von Ip Wischin (wie z.B. die kurzen Interviewparts von Film Network Ireland), lest seinen Blog auf vienna-flimcoach.at nach, seine Bücher. Nehmt in Euch auf, was auch immer Ihr finden möget.

Das alles reicht nicht einmal annähernd an das heran, was man empfand und mitbekam, wenn man Ip live in einem Workshop erleben durfte. Die Videos bieten nur einen hohlen Abklatsch dessen, wie man Ip Wischin in Erinnerung hat. Trotzdem werden so wenigstens Teile seines Wissens weiter verbreitet. Und ich glaube, darauf wäre Ip schon ein bisschen stolz – und das mit vollem Recht.

Mach’s gut, Ip.

Rodja

PS: Zum Abschluss noch ein Video mit einigen Aussagen von Kursteilnehmern.

INFO: https://www.vienna-filmcoach.at/

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